"Erwartungshaltung". Ein Begriff von dem die meisten Hundeführer zurecht annehmen, dass er mit der Belohnung des Hundes zusammen hängt. Es gibt natürlich zahlreiche lerntheoretische Erläuterungen zu diesem Begriff.
Aber, wenn ich die "Erwartungshaltung" erklären soll, dann erzähle ich in der Regel diese Geschichte von meiner Nichte:
Im Dezember 2008 hatten mein Mann und ich unseren ersten gemeinsamen Wurf Australiana Working Kelpie Welpen. Meine Schwester wohnte damals noch zusammen mit uns auf dem Hof und meine Nichte war gerade 6 Jahre alt.
Und sie wollte UNBEDINGT einen Welpen aus diesem Wurf haben. Meine Schwester und mein Schwager hatten nichts dagegen. Sie sollte den Hund auch tatsächlich kaufen. Und so startete meine kleine Nichte das Projekt: Penny.
Damals hatten wir unsere Pferde noch auf unserem Hof stehen und auch ansonsten gab und gibt es hier immer jede Menge zu tun. Auch für 6jährige. Und so hat meine Nichte angefangen für Geld zu arbeiten. Boxen misten (natürlich haben wir geholfen!), Tiere füttern, usw.
Und irgendwann im November kam es zu folgender Situation: Bei uns vor der Haustüre stehen zwei Linden. Die müssen immer im Winter, wenn alle Blätter abgefallen sind, zurückgeschnitten werden. Und meine Nichte sollte helfen, die kleinen Äste und verbleibenden welken Blätter, auf eine Schubkarre zu laden. Ich wollte diese dann auf dem Kompost ausleeren.
Da stellt sich meine Nichte mit, in die Hüften gestützten Arme vor mich, eine tiefe und sehr energische Falte zwischen den funkelnden Augen und sagt mit der ganzen Energie einer Sechsjährigen: "Erst das Geld!!"
Ich war kurz versucht loszuprusten (was mit Sicherheit nicht gut angekommen wäre...), habe mich aber zusammen gerissen und geantwortet, dass sie das versprochene Geld mit Sicherheit bekommen würde, wir müssten aber erst die Arbeit erledigen.
Mit einem klitzekleinen bisschen Gemopper, haben wir das dann auch zügig geschafft.
Diese Situation hat sich mir, völlig über den Moment hinaus (meine Nichte wird dieses Jahr 18!!!) in Hirn und Herz gebrannt!
Weil wir beide ein und die selbe Situation so unterschiedlich empfunden haben. Ich wollte die Arbeit erledigt sehen und mir war ganz selbstverständlich klar, dass sie das besprochene und versprochene Geld im Anschluss bekommen würde.
Meine Nichte, 6 Jahre alt, hat das ganz anders gesehen! Ein Berg voll Arbeit und nur mein gesprochenes Wort, dass es dafür das Geld auch geben würde. Nur mein Wort. Das ist für so eine kleine Maus, ohne Erfahrungen mit mündlichen Verträgen, nicht gerade viel.
Denn genau das hatten wir Zwei: einen bindenden mündlichen Vertrag! Ich hatte ihr versprochen, dass sie für die Arbeit eine entsprechende Belohnung bekommen würde.
Ein bindender mündlicher Vertrag im Hundetraining
Aber Kinder haben mit "bindenden mündlichen Verträgen" genauso wenig Erfahrungen, wie unsere Hunde.
Wenn wir unsere Hunde in der Fussarbeit trainieren, dann versprechen wir ihnen: für das, was Du da leistet, wirst Du von mir belohnt werden! Ich verspreche es Dir!
Und am Anfang ist das wie bei meiner Nichte: unsere Hunde müssen erst lernen, dass zunächst sie, Arbeit in die Waagschale legen und wir dies dann mit Belohnung aufwiegen.
Bei-Fuß-Gehen: Schrittweise wird eimehr, oder länger, oder schwieriger.....
Aber ich denke es ist nicht verkehrt, wenn auch wir uns immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir im Training mit unseren Hunden, einen bindenden mündlichen Vertrag eingehen. Das wir eine adäquate Belohnung in Aussicht stellen.
Stellt Euch vor, ich hätte meiner Nichte damals gesagt: Du sammelst erst das Laub und die Äste ein, dann leerst Du die Schubkarre und im Anschluss reinigst du die Karre noch mit dem Gartenschlauch. Ihr könnt Euch sicherlich einen passenden Gesichtsausdruck zu diesem Arbeitsauftrag vorstellen....
Wenn sie das Mithelfen und das Dafür - bezahlt - werden, aber erst einmal kennengelernt hat und darin geübt ist, dann wachsen sowohl ihre körperlichen Kräfte, als auch ihr Verständnis für die Situation. Und später einmal, kann es dann auch einen großen Arbeitsauftrag geben, bei dem nicht mehr jeder einzelne Arbeitsschritt belohnt wird, an dessen Ende aber eine ganz besonders grossartige Belohnung, bzw. Bezahlung steht!
Genau wie bei unseren Hunden!
Vor dem Heelwork Training: Über die Wertigkeit der Belohnung nachdenken
Vielleicht erinnert Ihr Euch an diese Geschichte, wenn Ihr Eure nächste Trainingseinheit plant und denkt noch einmal darüber nach, ob die Wertigkeit der Belohnungen, die Ihr dabei habt, auch im Verhältnis zu dem stehen, was Ihr von Euren Hunden verlangen werdet. Ob Arbeitsschritte einzeln oder zusammen hängend trainiert werden können....
P.S. Im Dezember 2008 ist dann auch Australiana Penny in das Kinderzimmer meiner Nichte eingezogen - die beiden sind noch heute der berühmte Pott und Deckel......